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AUS DEM LEBEN VON HEIDI UND PETER WENGER

Die erste Begegnung muss um 1948 an der ETH Zürich in einer Vorlesung von Professor Hans Hofmann gewesen sein. Peter Wenger, geboren 1923 in Münchenstein bei Basel, kam 23-jährig an die Abteilung Architektur nachdem er zuvor schon zwei Semester Maschinenbau studiert hatte. Heidi Dellberg, geboren 1926 als Tochter des legendären Sozialisten Karl Dellberg, kam als 20-jährige Walliserin aus Brig an die ETH. Und als Hofmann vorne an der Tafel redete, sprang in seinem Hörsaal ein Funken: Die beiden wurden ein Paar und ab 1952 auch ein Architektenpaar, das sein Büro in Brig eröffnete. 

Ihre ersten Jahre waren geprägt von Bauten nach Vorbildern, wie sie an der ETH üblich waren: Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, Alvar Aalto und Arne Jacobsen. Mit dem Ferienhaus 'Trigon' auf dem Saflisch auf 2000 Meter über Meer, oberhalb von Rosswald, gelang den beiden 1955 ein erster Wurf. Mit einem für die Ausstellung SAFFA in Zürich bestimmten Fertig-Holzhaus für ein schmales Budget, machten Heidi und Peter Wenger 1958 über die Architektenschaft hinaus von sich reden. 1956 gewannen sie den Wettbewerb für das Kinderdorf Leuk, einer Sonderschule mit Wohnheim für Jugendliche und Kinder. Ihr tragender Gedanke, keine Grenzen zwischen spielen und lernen zu ziehen und dafür offene Raumstrukturen bauen, überzeugte die Jury.  

Trotzt des Erfolgs gerieten die jungen Architekten in eine Sinnkrise. Sie zweifelten an der Architektur, wie sie die ETH prägte und lehrte. Sie wollten Räume und Formen bauen, die besseres Leben ermöglichen sollten, als es die rechteckige Kisten und Grundrissen der gängigen modernen Architektur konnten. Sie schlossen ihr Büro nach nur vier Jahren und zogen sich zurück, um nach neuen Wegen, Strukturen und Konstruktionen zu suchen. Das Trigon-Haus und der Atelieraufbau über dem Lagerhaus Pagozzi in Brig (1955) wiesen ihnen die Richtung zum neuen Verständnisses von Leben - Raum - Bauen. Ihre Suche führte sie zur Architektur von Frank Lloyd Wright, zur Theorie von Hugo Häring und zu den Konstruktionen von Buckminster Fuller. Die freie Zusammenarbeit mit Professor Hans Brechbühler in Bern von 1958 bis 1961 und mit Professor Alberto Camenzind für die expo 64 in Lausanne ermöglichte ihnen eine vertiefte und eigenständige Auseinandersetzung mit Strukturen und minimalen Konstruktionen.

Anfangs der Siebzigerjahre meldeten sie sich zurück. Sie überarbeiteten den Entwurf für das Kinderdorf in Leuk grundlegend. Ein Grundriss, bauend auf einem 120 Grad Winkel, breitet sich zweiflüglig dem Gelände nach aus. Pavillonbauten in Holz und Gebäudeflügel in Beton mit ausladenden Terrassen (1970 bis 1972) bestimmen die Konstruktion. Der Neubau der Postgarage in Brig folgte. Ein weit gespanntes Dach ruht auf wenigen Stützen, darüber sitzen die Wohnräume, einzig durch den Liftturm mit dem Boden verbunden (1972 bis 1974). Mit der école superieur de viticulture, d'oenologie et d'argriculture in Changins bei Nyon haben sie die weit gespannten Faltwerke weiterentwickelt (1971 bis 1975). Die Satelliten-Bodenstation in Brentjong, Leuk, bauten sie aus einem Tetraeder und stellten einen kugelförmigen Ausstellungspavillon aus glasfaserverstärkten Kunststoffdreiecken dazu. (1972 bis 1974). Eine begehbare Rampe in der Ausstellungskuppel gibt den Besucherinnen das Gefühl, sie schwebten durch den Raum. Die Ausstellungstücke, Modelle von Raketen und Satelliten, wurden im Atelier an der Furkastrasse in Brig gebaut. Bis zu 12 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählte das Atelier in dieser Zeit (1975). 

Nach mehreren grossen Bauaufgaben vertieften sich Heidi und Peter Wenger in die Erkundung von Strukturen. Und sie entdeckten die fernöstlichen Philosophien und Lebensanschauungen. 1976 bereiste das Paar China. Weitere Reisen, um im Riesenland Raumvorstellungen und Sprachräume zu erkunden, folgten 1978, 1982 bis 1984 und 1987. Ihre Erkenntnisse zu Strukturen und Konstruktionen konnten Heidi und Peter Wenger 1983 an der Southern University Abteilung Architektur in Nanjing, China, an Studierende weitergeben. Peter Wenger wurde 1981 als Gastdozent an die ETH Zürich berufen (bis 1983). Das Atelier beschäftigte in dieser Zeit noch zwei Mitarbeiter. 

Das letzte grosse Vorhaben von Heidi und Peter Wenger war das Fort- und Weiterbildungszentrum für den Kanton Bern in Tramelan, wofür sie im Mai 1979 den Wettbewerb gewonnen hatten. 1986 begann der Aushub, 1991 wurde das Zentrum eingeweiht. Heidi und Peter Wenger blieben bis zu diesem letzten Bau auf der Suche nach der den Inhalten und der Bauaufgabe angemessenen Raumform und sie stellten auch im letzten Projekt Denkmuster in Frage: Wo ist Offenheit, wo sind noch Möglichkeiten? Und wie durchs ganze Arbeitsleben waren auch für das Weiterbildungszentrum die Sprache, in den Texten von Heidi Wenger oder die räumlichen Gebilde, in Peter Wengers Zeichnungen und Modellen ihre Werkzeuge des Entwerfens. 

«50 Jahre lebendige Architektur» so hiess die ein reiches Architektenleben zusammenfassende Ausstellung, die 2003 in Sion und 2005 in Basel zu sehen war – im Jahr als das Atelier Wenger seinen fünfzigsten Geburtstag feierte. Im Oktober 2007 ist Peter Wenger gestorben. Einen Monat darauf verlieh ihm die Walliser Regierung posthum den kantonalen Kulturpreis.

Heidi Wenger blieb bis zu ihrem Tod 2010 voller Tatendrang. So trieb sie die Gründung der Stiftung Atelier Wenger voran oder betreute die Realisation der Ausstellung Geo Chavez nach den Plänen von Peter Wenger. Auch arbeitete sie am Buch «Peter Wenger, Fotos aus China» oder überwachte die fotografische Dokumentation des Ateliers. Heidi und Peter Wenger, das eigensinnige Architektenpaar aus dem Wallis, wird seinen Platz in der Geschichte der Architektur aus der Schweiz halten. 


Jürg Brühlmann